Auch Erwachsene können nicht alles wissen, das ist sicherlich klar. Dass das auch für das Thema Sexualität zutrifft, wird leider oftmals vergessen. Umso wichtiger ist es, dass es auch für die Zielgruppe der Erwachsenen gute und informative Aufklärungsbücher gibt, die ganz ohne Belehrung auskommen!
Letztes Mal habe ich bereits ein empfehlenswertes, praxisnahes Buch vorgestellt, nämlich Make More Love. von Ann-Marlene Henning. Dabei habe ich erwähnt, dass die Praxisübungen dieses Buches für einige Leser*innen zu schnell und forsch sein könnten. Deshalb möchte ich heute ein Buch vorstellen, das einen sehr praxisnahen Übungsteil mit spannenden Alltagstipps und Übungen hat, bei denen es nicht sofort um Berührungen des Geschlechtsorgans geht.

Denn Lust fängt nicht im Genital an…

Siller, Nicole: Finde deine Lust! Das Praxisbuch für die weibliche Sexualität.* ist von einer Sexualberaterin in Wien, die ich mittlerweile persönlich kennenlernen durfte und mit der ich sogar eine Podcastfolge zur Frage „Wie geht gute Aufklärung?“ aufgenommen habe. Aber keine Sorge, ich lasse mich von persönlichen Sympathien nicht beeinflussen. Dafür sind mir meine Kategorien zu wichtig! 😉

In Finde deine Lust! geht es nicht darum, sich für jemand anderen oder auch für sich selbst zu optimieren. Vielmehr steht hier das Spüren und Entspannen im Fokus. Das entspricht ganz und gar meiner Einstellung zum Thema Sexualberatung, weshalb ich gleich am Anfang sehr angetan war. Außerdem betont Nicole, dass dieses Buch für alle Frauen* ist, egal ob Single oder in einer Beziehung. Auch das geht in manch anderen Sexratgeber*innen leider unter.

Die Sprache ist allgemein sehr wertschätzend gewählt und das Buch ist sehr einfach zu lesen.

In der Einleitung erklärt Nicole, wieso Sexualität überhaupt wichtig ist und welchen Einfluss Sexualität auf die Gesundheit hat. Sie meint damit natürlich nicht, wie viel Kalorien bei diversen sexuellen Handlungen verbrannt werden… 😉
Ich liebe dabei ihre Metapher, wieso Sexualität ein Leben lang weiterentwickelt werden kann und soll – wer also neugierig ist, sollte mal das Buch zur Hand nehmen und auf Seite 15 blättern. Auch im restlichen Buch kommen oft sehr anschauliche Metaphern vor. Die Beispiele aus ihrer Beratungstätigkeit zeigen außerdem verschiedene Aspekte der Sexualberatung und verdeutlichen, welche Ängste es oftmals in Bezug auf Sexualität gibt.

Schade finde ich, dass das Buch trotz mancher Passagen, wo auch Homosexualität angesprochen wird, doch eher heteronormativ und definitiv binär ist. Dabei wäre die Heteronormativität leicht aufzulockern gewesen, indem beispielsweise nicht geschrieben wird, dass dieses Buch auch für Männer ist, die Frauen lieben, sondern eben für alle gedacht ist, die Frauen* lieben. Auch gendergerechte Sprache geht mir leider ab…
Wie auch schon bei Make More Love. stimme ich auch Nicole nicht zu bei ihren Ausführungen über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, weil ich nichts von dieser binären Aufteilung halte. Bei Nicole kommt diese Geschlechterdifferenzierung aber weit weniger drastisch herüber als bei Ann-Marlene Henning. Außerdem betont Nicole hier ganz klar, dass es nicht um einen Kampf der Geschlechter geht, was ich an dieser Stelle sehr wichtig finde.

Dafür spricht Nicole Themen an, die in anderen Büchern nicht vorkommen, so beispielsweise die Einflüsse von Elternschaft auf die eigene Sexualität und die verschiedenen Mythen, die es rund um Sexualität auch bei Erwachsenen gibt.
Natürlich geht sie auch auf die Anatomie, sexuellen Grundkompetenzen und sexuelle Entwicklung eines Menschen ein. Das ganze wird durch sehr schöne und gelungene Grafiken unterstützt – hier ist sogar eine Beckenbodengrafik dabei! Für eine Neuauflage würde ich mir noch eine Grafik der inneren Geschlechtsorgane wünschen, um auch hier für mehr Klarheit zu sorgen.
Der Anatomieteil ist recht kurz gehalten, was ich hier aber sehr passend finde – immerhin geht es hier um ein Praxisübungsbuch! Lediglich das Hymen wird meiner Meinung nach zu kurz und missverständlich erklärt, aber das ist auch nicht unbedingt das wichtigste Thema für die Zielgruppe dieses Buches.

Nachdem mir auch die sensible Wahl von Begriffen wichtig ist, freue ich mich, dass Nicole von Charmelippen und Genitallippen schreibt. Ich persönlich bevorzuge zwar Vulvalippen, aber Geschmäcker sind verschieden und das Wichtigste ist die Befreiung des Genitals von der Scham.

Ein bisschen verwirrend fand ich die Erzählungen über die Vergangenheit der weiblichen* Sexualität, also wann was war. Auch der negative Unterton gegen Social Media war nicht ganz meines. Ich finde zwar auch, dass Social Media-Konsum einen großen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung hat, Social Media-Nutzung im Alltag aber nicht mehr wirklich wegzudenken ist. Es sollte daher eher um einen reflektierten Konsum gehen. Dennoch ist es ein wichtiger Punkt, wenn es ums Thema sexuelle Lust geht und darf in diesem Buch nicht fehlen.

Der Praxisteil des Buches ist sehr spannend und hilfreich aufgebaut. Nicole stellt hier viele interessante und wichtige Selbstreflexionsfragen, um die Selbstwirksamkeit zu bestärken und das Hineinspüren anzuregen. Das ganze bietet für jeden Tag eine Übung – natürlich kann das Buch aber auch am Stück gelesen werden.

Die praktischen Tipps und Übungen beziehen sich auf viele verschiedene Bereiche des Lebens, die die eigene Sexualität beeinflussen können, sei es ein stressiger Alltag oder ein ungemütliches Schlafzimmer. Sie gibt Anregungen für alle Sinne, hilft bei der Aktivierung eigener Ressourcen und bietet somit einen Leitfaden zu Selbstliebe, der abseits von Partnerschaft und Co. möglich ist. Das Buch eignet sich also für Personen in Paarbeziehungen, für Singles und für Eltern, weil das Buch auf die speziellen Interessen dieser Leser*innenschaft sehr gut eingeht.

Als Beckenbodentrainerin freue ich mich besonders, dass in Finde deine Lust! der Beckenboden so fein erklärt und in die Übungen eingebunden wird, sowohl in Form von  Kräftigung als auch Entspannung.

Verwirrt hat mich jedoch, dass bei einer Übungsanleitung steht, dass beim Einatmen der Beckenboden angespannt wird, weil das genau andersherum sein sollte, also Einatmen – Entspannen und Ausatmen – Anspannen.

Trotz mancher Kritikpunkte finde ich Finde deine Lust! sehr gut gelungen und empfehlenswert für alle, die wieder zu mehr Lust im Alltag finden wollen, die aber nicht sofort Übungen am Geschlechtsorgan machen wollen. Einzig das Ende war mir persönlich zu abrupt und ich hätte mir ein kurzes Nachwort gewünscht.

Viel Spaß beim Lesen und Üben!

 

*Das ist ein Affiliate Link. Durch das Klicken werden Sie direkt zum Onlineshop von Thalia weitergeleitet und bei Kauf des Buches erhalte ich eine kleine Vergütung. Für Sie ändert sich aber nichts! Ich werbe ausschließlich für Produkte, die ich selbst getestet habe und von denen ich überzeugt bin.

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gefühls*echt
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